Martin Kesper

Wetterleuchten

Wetterleuchten

Einführungsvortrag zur gleichnahmigen Ausstellung im Kunstverein Unna e. V.

Ich möchte vorwegschicken, dass ich kein Kunsthistoriker bin und daher alles, was ich heute hier erzähle, nur mit der Einschränkung gilt, dass ich aus meiner persönlichen Perspektive berichte, die keinerlei Anspruch auf Allgemeingültigkeit hat.

Bevor ich auf das Phänomen des Wetterleuchtens eingehe, möchte ich erst einmal über das Wetter sprechen. Das Wetter ist etwas, dass uns von der Wiege bis zur Bahre begleitet. Irgendein Wetter haben wir immer. Wetter hört nie auf. Es steht jederzeit als Konversationsthema zur Verfügung, dringt aber so gut wie nie in unser Langzeitgedächtnis. Die Selbstverständlichkeit des Wetters lässt es zu einem Hintergrundrauschen unseres Lebens werden, dem wir als Menschen in unserer Kunst lange Zeit praktisch keine Aufmerksamkeit geschenkt haben. Machen wir daher einen Streifzug durch die Kunstgeschichte.

Am Anfang — in den Höhlenzeichnungen der Steinzeit — spielten Wetterphänomene keine Rolle. Himmelskörper, also Sonne, Mond und Sterne, sind zwar keine Wetterphänomene, finden sich aber z. B. auf der Himmelsscheibe von Nebra und — durch ihren Götterstatus — auch in der Kunst des alten Ägyptens. Aber einem einzelnen Wetterphänomen: Regen, Sonnenschein, Gewitter oder eben Wetterleuchten wurden bestenfalls Schriftzeichen zugewiesen, aber keine dezidierten Kunstwerke. Wetter kam noch nicht einmal im Hintergrund eines Bildes vor.

Selbst in der römischen Antike taucht Wetter in den Bilden, wenn überhaupt nur als verwaschen blauer Himmel auf. Aber auch dieser verschwindet wieder mit dem Aufkommen der christlichen Kunst.

Und das blieb im Wesentlichen so bis zur Renaissance, in der dann auch die Hintergründe eines Bildmotivs gezeigt wurden. Nicht nur geschlossene Räume in Zentralperspektive — sondern auch Landschaften. Zwangsläufig fand sich über diesen auch Himmel. Im Hintergrund der Mona Lisa finden wir einen Himmel, der am ehesten als Türkis zu beschreiben ist, sich aber wettermäßig nicht wirklich zuordnen läßt. Wer aber hier und da einen Himmel gemalt hat, der hat früher oder später eben auch eine Wettersituation dargestellt. In dem DaVinci zugeschriebenen Bild ‚Madonna Litta‘ von 1490 finden wir eindeutig Cumuluswolken in einem blauen Himmel, also eine Momentaufnahme des Wetters. Und warum auch nicht, hat sich DaVnici in seinen wissenschaftlichen Studien doch auch mit Wolken und der Frage, warum es regnet, auseinandergesetzt.

Auch im Barock bei Rubens finden sich Wolken am Himmel, aber im Gegensatz zu den Schönwetterwolken der Italiener, finden sich hier dunkle und bedrohende Wolken, die einerseits das Wetter in Rubens Heimat widerspiegeln, aber auch, wie in dem Bild ‚Das Urteil des Paris‘ aus den 1630gern, das Unheil des bevorstehenden Krieges verkünden. Ein Wetterphänomen wird hier mit einer symbolischen Bedeutung aufgeladen und ist nicht mehr nur zierendes Beiwerk.

Der Romantiker Casper David Friedrich stellt in seinem Bild ‚Der Mönch am Meer‘ von 1809 den bedrohlichen Himmel in den Mittelpunkt des Bildes, währen der namensgebende Mönch eine winzige Figur in der Ferne ist. Das Wetter und seine Bedeutung sind der eigentliche Gegenstand des Bildes.

Im Biedermeier wird das Wetter wieder seltener durch Bedeutung beschwert. Der Titel einer Ausstellung, die Werke von Carl Spitzweg 1992 in Deutschland zeigte, fasste das zusammen: „Himmelblau an den meisten Stellen“. Aber auch hier findet man Wetter, das über himmelblau hinausgeht. In dem phantastischen Bild ‚Hexenritt‘ von 1875 reiten drei Hexen auf ihren Besen unter einem von schweren Wolken verdüsterten Himmel.

Bei William Turner — wir erinnern uns an unseren Besuch in Münster im Januar 2020 — nehmen die dramatischen Himmel einen Großteil der Bildfläche ein.

Dabei war Turner, gestorben 1851, mit seinem impressionistisch anmutenden Malstiel seiner Zeit voraus. Bei den Impressionisten selbst steht das Wetter selten im Mittelpunkt des Bildes. Der Himmel und mit ihm das Wetter ist aber für die Gesamtwirkung der Bilder notwendig und wird akribisch ausgeführt. Ein besonderer Aspekt ergibt sich aus den seriellen Arbeiten von Claude Monet. Er hat verschiedene Bauwerke zu unterschiedlichen Tageszeiten, Wetter- und Lichtsituationen immer wieder gemalt. So zum Beispiel das britische Parlament zwischen 1899 und 1905 mindestens neunzehn mal. Dabei hat er Perspektive und Bildaufteilung weitestgehend identisch ausgeführt. Betrachtet man mehrere dieser Bilder nebeneinander, so tritt das Parlament selbst in den Hintergrund und die Wetter- und Lichtsituationen werden in der Wahrnehmung betont. Im Jahr 2006 haben sich Forscher der Universität Birmingham mit den Bildern beschäftigt und die Frage aufgeworfen, in wie weit Monets Farbgebung Rückschlüsse auf die Zusammensetzung des damaligen Londoner Smogs zulassen. Ergebnisse dazu konnte ich leider nicht finden, aber es besteht die Möglichkeit, dass Monet hier unbewußt ein Umweltproblem dokumentiert hat.

Gerhard Richter knüpft mit einigen seiner ‚Seestücke‘, die zwischen 1969 und 1998 entstanden sind, an den erwähnten ‚Mönch am Meer‘ an, indem auch er dem Himmel viel Raum einräumt. Doch ist seine Maltechnik ist eine andere, setzt er doch seine Bilder aus Projektionen von Fotos zusammen — gemalte Collagen. Dadurch, dass er diese dann mit dem Pinsel noch abstrahiert, steht aber nicht das Dargestellte, sondern das Bild als Objekt im Vordergrund.

Sie merken, wir nähern uns der Gegenwart. Und das tun wir indem wir einen Blick auf ein Werk von Olafur Eliasson werfen. Und was liegt da näher als ‚Der Reflektierende Korridor, Entwurf zum Stoppen des freien Falls‘. Dieses Werk finden wir nämlich in der ständigen Sammlung unseres Zentrums für internationale Lichtkunst. Sie erinnern sich an den dunklen Raum, den man auf einem Gittersteg durchquert, während es links und rechts regnet. Wobei die Tropfen durch einen Stroboskopblitz so beleuchtet werden, dass sie in der Luft zu stehen scheinen. Eliasson nutzt das Wetterphänomen Regen, das er künstlich erzeugt, und verfremdet unsere Erfahrungswelt durch ein spezielles Licht. Das Phänomen des Regens ist nicht Gegenstand seiner Arbeit, es ist Mittel zum Zweck. Es liefert den freien Fall, denn er stoppen will, was ihm zumindest auf illusionistischer Ebene auch gelingt.

Und jetzt komme ich zum Wetterleuchten. Was ist das überhaupt? Der Brockhaus von 1994 definiert Wetterleuchten als die „nachts sichtbare Entladung entfernter Gewitterblitze, ohne hörbaren Donner“. Wikipedia definiert es als „den Wiederschein von Blitzen, wenn man die Blitze selbst nicht sieht“. Ob mit oder ohne Donner, ob Tag oder Nacht, es ist die kurze Lichterscheinung eines für den Betrachter unsichtbaren Blitzes. Was nimmt man also wahr? Ein kurzes Aufleuchten in den Wolken. Vielleicht gefolgt von einem dumpfen Grollen in der Ferne. Wie kann aber ein Blitz für uns unsichtbar bleiben? Ganz einfach, er wird durch die Gewitterwolke selbst oder eine andere Wolke verdeckt. Wetterleuchten ist kein alltägliches Phänomen und tritt somit aus dem allgemeinem Hintergrundrauschen des Wetters hervor. Und dringt so auch in unser Langzeitgedächtnis.

Erlauben Sie mir an dieser Stelle einen Exkurs in meine Vergangenheit als Pilot. Normalerweise umfliegt man als Pilot eines Verkehrsflugzeugs jedes Gewitter weiträumig, also in 15 bis 30 Kilometer Entfernung. Doch manchmal stehen Gewitter aufgereiht wie eine Perlenkette dicht nebeneinander. Die Meteorologen nennen das Multizellenlinie oder Squall Line, diese können mehrere hundert Kilometer lang werden. Da kann man nicht mal eben drum herum fliegen. Man sucht im Wetterradar die dünnste Stelle, macht die Anschnallzeichen an und fliegt zwischen zwei Gewittern durch. Nicht mehr mit freier Sicht auf die Gewitterfront sondern in den Wolken. Wenn man in einer Wolke fliegt, sieht man aus dem Fenster nur noch grau — bei Nacht nur schwarz. Dann ist der Blick auf jeden Blitz verschleiert und alle Blitze sind nur noch als Wetterleuchten wahrzunehmen. Dieses mal gelegentliche, mal häufige Leuchten nährt im Hinterkopf die Furcht vor einem Blitzschlag. Auch alles Wissen über die Funktionsweise eines Faradayschen Käfigs kann diese Furcht nicht ganz zum Verstummen bringen. Also konzentriert man sich auf die Arbeit. Das Wetterradar hilft dabei, die schlimmsten Zonen des Gewitters zum umfliegen.

Fliegt man aber in sicherer Entfernung zum Gewitter und hat freie Sicht, so ist dies einer der faszinierendsten Anblicke, die man sich denken kann. Ich erinnere mich an einen Nachtflug von Stockholm nach Hannover. Wir fliegen in etwa 7000 Metern über der Ostsee, rechts überblicken wir Jütland und geradeaus in der Ferne ist schon die Kieler Bucht zu erkennen. Aber rechts und links von uns, jeweils in etwa 50 Kilometern Entfernung stehen die Gewitterwolken Spalier. Ein Fest von Blitzen und auch von Wetterleuchten. Ein unvergesslicher Anblick, und wer hat schon so eine Aussicht von seinem Arbeitsplatz. Ich hatte im Übrigen in meinen dreizehn Jahren im Cockpit nie einen Blitzschlag.

Aber zurück zur Kunst. Die profane Definition „das Licht eines unsichtbaren Blitzes“ engt Künstler und Künstlerinnen zu sehr ein. Die Kunst ist frei. Also kann auch der Begriff frei interpretiert werden. Er soll als Inspirationsquelle dienen, um dann Gedanken, Gefühlen, Geschichten und Gemütszuständen eine Form zu geben. Jeder Künstler, jede Künstlerin nutzt dazu seine oder ihre spezifischen mentalen und handwerklichen Techniken. So kommt die Vielfalt zustande, die heute hier zu sehen ist.

Vor kurzem habe ich einen Artikel gelesen über ein Programm, dass mithilfe von künstlicher Intelligenz Bilder erstellen kann. Gibt man dem Programm die Anweisung: „Erzeuge das Bild einer Blumenwiese im Nebel im Stil der Impressionisten,“ dann liefert das Programm genau das. Auf Wunsch auch noch Variationen dazu. Das Programm benötigt also nicht nur die Anweisung, worum es in dem Bild gehen soll, zum Beispiel „Wetterleuchten“, sondern auch noch die Anweisung in welchem Stil das Bild generiert werden soll. Also probierte ich die Anweisung: „Erzeuge ein computerrealistisches Bild von emotionalem Wetterleuchten.“ — Das Ergebnis war von enttäuschender Langeweile. Und auch die Variationen, übrigens alle im gleichen quadratischen Format waren nicht besser.

Das Stichwort „Wetterleuchten“ hat bei den beteiligten Künstlern schon rein formal eine wesentlich interessantere Vielfalt an Ergebnissen hervorgebracht. Malerei in Öl und Acryl, digitale und analoge Fotografie, Keramik, Brandtechnik, verschiedene Ducktechniken, experimentelle Cyanotypien, Collagen, Zeichnungen. Und auch die inhaltliche Vielfalt, die wir hier zeigen dürfen ist enorm, von den rationalen, emotionalen und vielleicht sogar transzendenten Wirkungen auf den Betrachter ganz zu schweigen.

Es ist eine tröstliche, ja fast erhebende Einsicht, dass die Vielfalt der menschlichen Kreativität immer noch mit Leichtigkeit die künstliche Intelligenz schlägt.

(Der Vortrag wurde zur Vernissage am 11.11.2022 gehalten. Mehr Informationen zur Ausstellung finden Sie hier.)

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