Warum Kunst?
Warum Kunst?
Ich bin vor einiger Zeit auf ein Heftchen aus der Reihe "Riemschneider Lectures" mit dem Titel "Wozu brauch man Kunst?" gestoßen. Es handelt sich um die Transkription eines Vortrages, den Jean-Luc Nancy am 14.02.2017 in der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe gehalten hat und beginnt mit der Frage, ob Menschen überhaupt Kunst brauchen. Er nennt: "Mönche und Nonnen, die nichts von der äußeren Form wissen wollen, die sich ganz dem, was man Innerstes nennt, und dem außerhalb der Welt widmen.", als Beispiel für Menschen, die ohne Kunst auskommen. Ich denke aber, dass er da unpräzise ist, weil die Klöster, die ich bisher besichtigen durfte, voller Kunst waren. Doch auf Asketen und Eremiten könnte seine Mutmaßung zutreffen: "Vielleicht braucht man […] keine Kunst, wenn man in einer gewissen Weise schon außerhalb der Welt ist, über die Welt hinausgeht."
Dann folgt seine These, dass wir Kunst brauchen, um in der Welt ebenfalls eine solche Transzendenz zu erreichen. Und das war der Punkt — tatsächlich auf der ersten Seite — an dem ich einen Aspekt meiner selbst zu erkennen glaubte. Von der Religion habe ich mich abgewandt. Als Mitglied der evangelischen Kirche erzogen, habe ich an Gott schon früh gezweifelt. Als Physiker bin ganz den Gesetzen der Physik, von der Quantenmechanik bis zur allgemeinen Relativitätstheorie, verhaftet. Andererseits bildete sich das Interesse und die Freude an der Kunst aus. Gingen meine Klassenkameraden während einer Freistunde in Kneipen, war ich häufig im Museum. (Damals war das Museum am Ostwall noch dort, wo es seinem Namen nach hingehört, somit gegenüber von meiner Schule. Der Eintritt für Schüler war kostenlos.) Heute denke ich: Ein Leben ohne Kunst ist möglich, aber sinnlos. Wenn Nancy recht hat, bringe ich so die Transzendenz in mein Leben, die mir sonst fehlen würde.