Martin Kesper

Auf der Suche nach dem verlorenen Optimismus

Auf der Suche nach dem verlorenen Optimismus

Ich wäre gerne ein Optimist, weil es das Leben entschieden leichter macht. Aber ich bin Realist und das bedeutet in diesen Zeiten, Pessimist zu sein. Jeden Tag kann man lesen, wie es mit unserer Zivilisation weiter vor die Hunde geht. (Alle behaupten immer, man müsse "den Planeten" retten. Die Erde wird weiter ihre Ellipsen um die Sonne ziehen, wenn Homo sapiens längst ausgestorben ist.) Der Klimawandel schreitet schneller voran als erwartet und wir werden weitere Kipppunkte reissen auf dem Weg zurück in die Steinzeit. (Ja, ich weiß, dass es da draussen immer noch Geisteskrüppel gibt, die den Klimawandel für eine Erfindung linker Verschwörer halten. Aber wer Verstand hat und ihn auch benutzt, weiß es besser.) Denn wir haben die ersten Kipppunkte schon längst hinter uns gelassen: Der Regenwald in Südamerika beginnt an einigen Stellen zu versteppen und der schmelzende Permafrost in Sibirien setzt große Mengen des Treibhausgases Methan frei. Und dabei steigt der weltweite Ausstoß von Kohlendioxid aus fossilen Energieträgern noch immer an.

Wie soll man da optimistisch sein? Ich sehe überall Kinder um mich herum und fürchte, wenn die mal so alt sein werden, wie ich jetzt bin, falls sie überhaupt so lange leben werden, dann wird die Zivilisation vollständig zusammengebrochen sein und es gilt überall nur noch das Recht des Stärkeren.

Heute könnte man den Zusammenbruch nur noch durch weltweite radikale Massnahmen verhindern. Brutale Einschränkung des individuellen (Auto-)Verkehrs, sofortige Einstellung aller kriegerischen Handlungen und radikale weltweite Abrüstung, Abschaffung von Bargeld, Einführung von Vermögens- und Erbschaftssteuer, Zerschlagung diverser multinationaler Konzerne, harte Regulierung der Finanzmärkte. Da wir aber keine Weltregierung haben, die in der Lage wäre, diese Massnahmen umzusetzen, haben wir als Zivilisation keine Zukunft.

Die letzte Chance das Ruder noch herumzureißen liegt schon so lange zurück, dass die meisten sich nicht daran erinnern: 1990. Ich habe das mal in einer Fernsehdokumentation gesehen. Die Weichen waren gestellt für ein Abkommen zu Reduzierung der Treibhausgasemissionen. Verhindert hat das die Regierung Bush (senior) und zwar, weil man erst noch genauere Forschungsergebnisse abwarten wollte.¹ Ein Schelm, wer glaubt, da habe die Erdöllobby die Finger im Spiel gehabt.

Wenn wir ehrlich sind, müssen wir einsehen, dass wir den Zug in die post-fossile Steinzeit bestenfalls ein wenig bremsen können, aufhalten können wir ihn nicht. Nicht einmal in Deutschland erlauben uns die politischen Realitäten, die notwendigen Maßnahmen anzugehen (von denen unsere Nachbarländer manche schon lange umgesetzt haben). Eine Koalition aus schwarz-braunen Kräften und Wirtschaftsliberalen, die unsere "zivile Ordnung" aufrecht erhalten wollen, um weiter Geld zu scheffeln, verhindern die erforderlichen Maßnahmen und werden dadurch das zerstören, was sie erhalten und horten wollen.

Wie sollte man da optimistisch sein? Man kann sich entweder in sein inneres Schneckenhaus zurückziehen und für den verbleibenden Zeithorizont der Ordnung einen kurzsichtigen Hedonismus pflegen, um beim Zusammenbruch sein Leben freiwillig zu beenden, weil man den Scheiß nicht mehr ertragen will. Oder man kämpft gegen den Scheiß an, wie es die Letzte Generation tut.

Hedonismus kann ich nicht, denn Verschwendung ist mir zuwider. Kämpfen kann ich nicht, weil meine Gesundheit das nicht mehr zulässt. Ich kann nur versuchen meinen ökologischen Fußabdruck klein zu halten, weil da noch ein winziges Fünkchen Hoffnung glimmt.

Inzwischen bleibt noch Zeit für den einen oder anderen guten Tag, das ist wohl aller Optimismus, den ich aufbringen kann. Und so kann ich im Nachhinein auch der Tatsache, dass es mir nicht vergönnt war, eine eigene Familie zu gründen, etwas Gutes abgewinnen. Ich hätte meine Kinder zu sehr geliebt, um sie dieser Welt auszusetzen.


¹ Reinhard Loske, Wege zur Klimastabilisierung, Schriftenreihe des IÖW 43/90